Abstract: Markus Hundt
Luther als Sprachnormvorbild – Ideal und Wirklichkeit
Die überragende Bedeutung von Martin Luther für die Normierung der deutschen Standardsprache wurde in der sprachhistorischen Forschung vielfach unterstrichen. Zwar ist die These von Luther als dem Sprachschöpfer mittlerweile dahingehend korrigiert worden, dass man nunmehr eher von Luther als dem Katalysator auf dem Weg zur neuhochdeutschen Standardsprache spricht. Allerdings wird er nach wie vor als wichtiger, wenn nicht zentraler Autor im historischen Prozess der Entwicklung von Normen der deutschen Sprache verstanden. Auffällig bei den Belegstellen, die z.B. Josten in seiner Dissertation von 1976 für das Sprachnormvorbild Luther anführt, ist die Tatsache, dass diese Bezüge i.d.R. pauschal und unspezifisch in dem Sinne sind, dass zwar Luther als Sprachnormvorbild fungiert und von denjenigen, die sich über den Zustand der deutschen Sprache Gedanken machen, als Orientierungspunkt genannt wird, dass jedoch i.d.R. keine konkreten Sprach-Beispiele für diese Vorbildlichkeit genannt werden. Die Forschungen von Rolf Bergmann, Werner Besch u.a. haben deutlich gemacht, dass die Vorbildfunktion Luthers differenziert gesehen werden muss. Im Bereich der Orthographie liegen andere Verhältnisse vor als z.B. in den Bereichen Lexik, Syntax und Stil. Im Vortrag soll daher folgenden Fragen nachgegangen werden:
- Was ist mit Sprachnorm im historischen Kontext des 15. – 17. Jahrhunderts überhaupt gemeint?
- Für welche sprachlichen Teilnormen ist das Luthervorbild bzw. genauer seine Texte (v.a. die Bibelübersetzung) in welcher Weise relevant?
- Inwiefern ist der Bezug auf Luther als Sprachnormvorbild ein Mythos (bes. ab dem 17. Jahrhundert), der sich eher auf einen idealisierten Modellschreiber (im Sinne des Sprachnormmodells von U. Ammon) bezieht?
Literatur
- Bergmann, Rolf (1982): Zum Anteil der Grammatiker an der Normierung der neuhochdeutschen Schriftsprache. In: Sprachwissenschaft 7, 261-281.
- Bergmann, Rolf (1984): Der rechte teutsche Cicero oder Varro. Luther als Vorbild in den Grammatiken des 16. bis 18. Jahrhunderts. In: Linguistische Studien. Reihe A. Arbeitsberichtete 119/II. Berlin, 172-189.
- Besch, Werner (1996): Sprachliche Änderungen in Lutherbibel-Drucken des 16.–18. Jahrhunderts. In: Wolf, Herbert (Hg.): Luthers Deutsch. Sprachliche Leistung und Wirkung. Frankfurt am Main u.a.: Lang, 250-269.
- Besch, Werner (1999): Die Rolle Luthers in der deutschen Sprachgeschichte. Vorgetragen am 7. November 1998. Heidelberg: Winter.
- Besch, Werner (2003): Die Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache. In: Besch, Werner et al. (Hgg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 3. Halbbd. 2. Auflage. Berlin/New York, 2252-2297.
- Besch, Werner (2014): Luther und die deutsche Sprache. 500 Jahre deutsche Sprachgeschichte im Lichte der neueren Forschung. Berlin: Schmidt.
- Jellinek, Max Hermann (1913): Geschichte der neuhochdeutschen Grammatik von den Anfängen bis auf Adelung. Erster Halbbd. Heidelberg: Winter.
- Josten, Dirk (1976): Sprachvorbild und Sprachnorm im Urteil des 16. und 17. Jahrhunderts. Sprachlandschaftliche Prioritäten, Sprachautoritäten, sprachimmanente Argumentation. Bern u.a.: Lang.